|
Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg
Die "Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg" wurde am 15. Oktober 1878 als ''Großherzoglich Badische Universitäts-Irrenklinik Heidelberg'' eröffnet. Sie gewann schon bald an Ansehen und gilt seitdem als eine der renommiertesten Institutionen der deutschen Universitätspsychiatrie.
1878-1918: Fürstner, Kraepelin, Bonhoeffer, Nissl,
Erster Leiter der Klinik war der bei seiner Berufung erst 29jährige Carl Fürstner (1848-1906). Als Neuropathologe gab er ihr in den dreizehn Jahren seiner Tätigkeit allerdings kaum Impulse.
Ihm folgte mit Emil Kraepelin, der die Klinik von 1891 bis 1903 leitete, der Begründer der modernen empirisch orientierten Psychopathologie, der mit seinen Pionierleistungen das Renommee der Klinik begründete. Seine hier durchgeführten genaue Verlaufsbeobachtungen von psychischen Störungen befähigten ihn zur Herausarbeitung des Krankheitsbildes der ''Dementia praecox und seiner Abgrenzung von dem des Manisch-depressiven Irresein'', eine Unterscheidung, die sich als fundamental erwiesen hat und der heutigen Unterteilung der ''endogenen Psychosen in die Gruppe der Psychosen des schizophrenen Formenkreises und die der affektiven Psychosen'' zugrunde liegt. Nach dem Vorbild Wilhelm Wundts richtete Kraepelin in der Klinik ausserdem ein Labor für die psychologische Experimentalforschung ein, für die er eine eigene Zeitschrift begründete, die er ab 1894 unter dem Titel Psychologische Arbeiten herausgab. Berühmte Mitarbeiter von ihm waren Alois Alzheimer (ab 1903, Habilitation 1904 in München), Gustav Aschaffenburg (1891-1901, Habilitation 1895), Robert Gaupp (1900-1904, Habilitation 1901), Franz Nissl (seit 1895, Habilitation 1896, 1904 indirekter Nachfolger von Kraepelin), Ernst Rüdin (1901; wieder ab 1907 in München, Habilitation 1909) , Paul Schröder (um 1900), Ernst L.O. Trömner|Ernst Trömner, Wilhelm Weygandt (vor 1899), Karl Wilmanns (ab 1902; Habilitation 1906 bei Nissl) und im psychologischen Labor das von Interessenten aus der ganzen Welt besucht wurde von 1901-1902 auch Willy Hellpach. Wegen Erfolglosigkeit seiner Bemühungen um den Ausbau der Klinik nahm Kraepelin 1903 einen Ruf nach München an, wo er 1904 nach einer Weltreise seine erfolgreiche Arbeit mit manchem Mitarbeiter aus Heidelberg fortsetzte.
Sein klassisch-klinisch orientierter Nachfolger Karl Bonhoeffer blieb nur zwei Monaten, woraufhin das Ministerium mit Franz Nissl erneut einen neuropathologischen Forscher zum Klinikleiter ernannte.
Nissls Tätigkeit bis 1918 war durch den glücklichen Umstand gekennzeichnet, dass er neben Hans Walter Gruhle (seit 1905, Habilitation 1913) und August Homburger, dem jugendpsychiatrisch orientierten und für psychotherapeutische Ansätze offenen langjährigen Leiter der Poliklinik in Martin Pappenheim, Arthur Kronfeld (Diss. 1909), Willy Mayer-Gross u.a. engagierte und anregende Mitarbeiter fand. Vor allem aber gab Nissl ab 1909 Karl Jaspers (Diss. 1908) Gelegenheit zur Mitarbeit: In seinen Jahren an der Klinik förderte Jaspers die Einbeziehung der Selbstschilderungen von Kranken in die psychiatrische Arbeit und Forschung, womit er die von Kraepelin vorangetriebene ''äußerlich-beschreibende Psychopathologie durch Berücksichtigung auch derjenigen inneren seelischen Zustände, die die Kranken wirklich erleben'', ergänzte. Grundlagen und Leistungsfähigkiet seines psychologisch-phänomenologisch genannten Ansatzes legte Jaspers 1913 in seiner berühmten ''Allgemeinen Psychopathologie'' dar, aufgrund der er sich mit Hilfe Nissls in der Philosophischen Fakultät für Psychologie habilitieren konnte. Allerdings hat er sich dort im weiteren wenig bemüht, das von ihm in der Psychiatrie nachhaltig verankerte wirklich psychologische Denken über den phänomenologisch-deskriptiven Ansatz hinaus bis zur Erfassung auch noch der inneren Dynamik psychischen Geschehens zu fördern, wie dies etwa seit 1910 sein langjähriger Kollege Arthur Kronfeld zunächst in Auseinandersetzung mit dem psychodynamischen Denken von Sigmund Freud versuchte: seine 1912 erschienene erstmalige Gesamtdarstellung und zunächst auch Aufsehen erregende Wissenschaftstheorie|wissenschaftstheoretische Kritik der psychologischen Theorien Freuds und verwandten Anschauungen geriet vor Jaspers epochaler Leistung schnell in den Hintergrund.
1918-1945: Karl Wilmanns, Carl Schneider
Die Zeit des Direktorats von Karl Wilmanns von 1918-1933, durch das die Klinik weiter an Ansehen gewann, war durch intensive Forschungen zu den Psychosen des schizophrenen Formenkreises gekennzeichnet, die Selbstversuche von Mitarbeitern mit psychoaktiven Substanzen einschloß. Neben anderen waren in dieser Zeit Walter Ritter von Baeyer, Hans Bürger-Prinz, Kurt Beringer und Hans Ruffin in der Klinik tätig, vor allem aber Hans Prinzhorn, der von 1919-1921 den Grundstock für die heute nach ihm benannte Sammlung der Bildwerke von Geisteskranken schuf. 1933 wurde Wilmanns wegen angeblicher oder tatsächlicher despektierlicher Äußerungen über Adolf Hitler und seinen hysterischen Charakter sofort von Nationalsozialisten gezwungen, seinen Lehrstuhl aufzugeben, auf den dann der nichthabilitierte Parteigenosse Carl Schneider berufen wurde.
Mit diesem bis dahin durch originelle wissenschaftliche Arbeiten vor allem auf dem Gebiet der Schizophrenie ausgewiesenen Psychiater, dessen Gedankengänge denen von Arthur Kronfeld nahekamen, dessen Publikationsreihe Kleine Schriften zur Seelenforschung er 1928 sogar für kurze Zeit weiterführte, trat ein überzeugter Nationalsozialist an die Spitze der Leitung der Klinik. Hier setzte er eine durchgehende arbeitstherapeutische Umgestaltung durch, da er in der ''Therapie durch Arbeit'' eine "biologische Heilweise" sah, mit der er meinte, Patienten im Sinne der Leistungsanforderungen der NS- Ideologie wieder in die "Volksgemeinschaft" zurückführen zu können. Auf der anderen Seite setzte er sich auch persönlich für die konsequente Umsetzung des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" ein: seit 1939 gehörte er zu den Obergutachtern des nationalsozialistischen 'Euthanasieprogramms'', dem mindestens 200.000 psychisch Kranke- auch aus der Heidelberger Klinik - zum Opfer fielen. Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner floh er und nahm sich nach seiner Ergreifung in der Untersuchungshaft 1946 das Leben. Gegen seine Mitarbeiter wurde nie Anklage erhoben. An die Opfer erinnert seit 1998 ein Mahnmal vor der Klinik.
Seit 1945: Kurt Schneider v.Baeyer, Janzarik, Mundt.
Mit Kurt Schneider, Direktor der Klinik von 1945 bis 1955, kam ein Wissenschaftler von München nach Heidelberg, der durch die Herausarbeitung der Erstrangsymptome der Schizophrenie internationale Anerkennung erwarb. Mit Walter Ritter von Baeyer (1955-1972) erhielt die Forschung an der Heidelberger Klinik eine breitere anthropologische Ausrichtung, wobei ein Schwerpunkt seiner Arbeit die Untersuchung und Begutachtung einer großen Anzahl in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgter, insbes. jüdischer Patienten war. Gegen Ende seiner Lehrtätigkeit griff die allgemeine ''Studentenbewegung'' auch auf die Klinik über, die noch in die Anfangszeit seines Nachfolgers Werner Janzarik (1973-1988) hineinwirkte, der das klassisch-psychopathologische Denken in der Tradition von Karl Jaspers wieder in den Vordergrund rückte und seine wissenschaftliche Bedeutung zu verteidigen suchte. Seit 1989 wird die Klinik von seinem ehemaligen Mitarbeiter Christoph Mundt geleitet, mit dem die Forschung auch an die zeitgenössische psychologische Forschung wieder mehr Anschluss gefunden hat. In seine Zeit fällt eine Modernisierung der Klinik, die 1993 um das sanierte Gebäude der ehemaligen Neurologischen Klinik erweitert wurde. 1995 wurde zusätzlich eine Tagesklinik eröffnet. Und seit 2001 seht die Sammlung Prinzhorn in einem Museum der eigenen und anderen Art erstmals auch der Öffentlichkeit offen.
|